Sonntag, 18. November 2012

Hintersinnige Gedanken zu Pferdedroschken

Mir fällt dabei sogleich meine Berliner Kinderzeit ein. Da gab es noch Pferdedroschken. Dort wo ich wohnte, gab’s eine Haltestelle. Das waren nicht solche, wie wir sie heute von der Tram oder vom Bus her kennen, es waren solche, wo die Droschken standen und auf Fahrgäste warteten, wie Taxistandplätze inzwischen.
1902 – http://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Ross_und_Schnauferl_Die_Woche_1902.jpg
   Die Kutscher saßen zumeist auf ihrem hohen Bock und schliefen.
   Den Pferden war ein Sack mit Hafer gefüllt um den Hals gebunden, aus dem sie fraßen.Zum Saufen gab es eine große Pumpe aus Gusseisen, zu deren Füßen sich ein Granitbecken befand, in dem sich das Wasser sammelte. Das war an heißen Sommertagen ein Badeplatz für Scharen von Spatzen - einer Vogelart, die für Berlin wie geschaffen und symbolisch war. Frech, schnell und immer bereit zu wildem Spiel und rascher Beute. So ließen sie denn auch keinen Blick vom Hinterteil der Pferde abschweifen, deren köstlichstes  Signal - wie das Öffnen eines Bühnenvorhangs - das Heben des Pferdeschwanzes war.
1546. Vincenzo Rustici. Sfilata delle Contrade in Piazza del Campo
    Ach, auch im Dom von Siena war das so, in dem die Pferde vor dem zweimal jährlich stattfindendem Palio versammelt wurden, um gesegnet zu werden zu jenem Rennen auf dem schönsten Platz der Welt – den Markusplatz von Venedig ausgenommen – wo hier nicht Spatzen, sondern Pferdebesitzern nur auf das Ereignis des Hebens des Schwanzes warteten, um dem alles krönenden Ereignis entgegen zu fiebern, dem Öffnen des Schließmuskels und dem Hervortreten der gelb dampfenden Pracht, die für die einen eine delikate, warme Mahlzeit bedeutete, für die anderen den sicheren Sieg beim Palio!
   Die Motortaxis haben diesem lieblichen Spiel ein Ende bereitet, und dem Palio wohl die Formel 1 oder Computerspiele.
   Arm gewordene, desillusionierte Welt!
   Immer will man das Naheliegende haben und bekommt am Ende doch nur, was dabei hinten raus kommt!

Donnerstag, 1. November 2012

An Erika

mit Kummer sah ich deine verbundene Hand,
bis endlich ich verstand,
dass du vom Finger hast dir abgeschnitten,
eine Stückchen nur – und hast gelitten!

Mir fiel die Magd nun dabei ein,
die sich aus schlimmer Liebespein,
betäuben suchte Schmerz mit Schmerz,
betrogen hatte gar ihr Herz.

Mit tränennassen Augen
sie hauchte ihre Finger an,
das aber konnt’ nicht taugen,
zu stillen Schmerz und Liebeswahn.

Ich denk an dich,
behauche deinen Finger,
doch tu dann sowas nicht,
nie mehr und nimmer!

Dein ach so alter Hans,
ein Glaserl Wein mit dir nun leerte ganz.
Der arme Robert kann das nicht,
so steh’ ich denn in der Pflicht!

Foto Schuldt


An Marion

Nicht aus dem Haus kann die Natur mich locken,
bleib ich doch lieber in der Stube hocken,
am warmen Ofen und bei einem kühlen Wein,
denkt man ganz still: muss halt so sein.

Schon bald die Tage werden wieder länger,
Ade dann Winter, du all zu strenger.
Wenn sich die Bäume wieder ziehen an
zieh’n wir uns wieder aus – soweit man kann!

Schon finster ist es, obwohl noch nicht sechs Uhr,
da bleibt die Flucht in meine Post mir nur!
Dort werd ich meine Wollwürst essen,
beim Messwein dann den Tag vergessen.

Es grüßt der Hans dich (und denkt dabei so dann)
ganz herzlich – (so lange er’s noch kann.)

An eine Frau

Sie, Verehrteste, saßen beim Griechen am Tisch und neben mir. Wir kamen ins Gespräch. Sie hatten sehr schnell erkannt, was ich bin, und Sie ließen ihr Mittagsmahl kalt werden, zu Gunsten unseres Gesprächs. Mich alten Mann hat das beglückt!
   Dabei fällt mir eine Geschichte ein, die ich in Berlin erlebt habe.
   Es gab in der Leibnitzstraße ein kleines Lokal, den Namen weiß ich nicht mehr, in dem man recht gut essen konnte und sehr intim verkehren konnte, wobei ich intim nicht falsch verstanden wissen möchte*).
   Ich hatte in der Nachbarschaft ein kleines Geschäft aufgebaut und freute mich, am Abend dort in Ruhe zu essen und einen Wein zu trinken. Dort saß ich einmal alleine, als sich eine Dame an meinem Nebentisch setzte. Es fiel mir auf, dass man sie bevorzugt gut bediente. Sie sah sehr angestrengt, ja gar etwas traurig aus, was mich beeindruckte. Sie fragte mich, nach einer Zeit, etwas Belangloses, und schaute mich etwas erstaunt an, als ich ihr unbelastet Antwort gab. Hatte ich doch nicht erkannt, dass es sich um die berühmte Callas handelte, die dort anonym bleiben wollte. Mich hatte sie an jene junge Schauspielerinnen erinnert, in die ich mich verliebt hatte, an Ingeborg Fröhlich, die im Schillertheater engagiert war, und abends, wenn sich der Vorhang längst gesenkt hatte, nicht »aus Ihrer Rolle kam«, hatte sie sich doch mit der von ihr dargestellten Person vollkommen identifiziert. »Ausatmen« hatte ich das immer benannt und ihr dabei durch meine Gegenwart geholfen.
   So saß ich neben der berühmten Callas, und vielleicht hatte sie das gesucht, was ich Ingeborg Fröhlich hatte geben können. In Callas’ Memoiren  wird man mich nicht finden. Die Erinnerung ist mehr und sie ist weniger - ein Highlight könnte man heute sagen, eine kleine Sternstunde im Lebens!

*) zum Thema intim und dem früheren Sprachgebrauch


Danilo (in Lehárs Lustiger Witwe):

O Vaterland du machst bei Tag
Mir schon genügend Müh und Plag!
Die Nacht braucht jeder Diplomat
Doch meistenteils für sich privat!
Um Eins bin ich schon im Büro,
Doch bin ich gleich drauf anderswo,
Weil man den ganzen lieben Tag   
Nicht immer im Büro sein mag!
Erstatte ich beim Chef Bericht   
So tu’ ich meistens selber nicht,
Die Sprechstund’ halt’ ich niemals ein,
Ein Diplomat muss schweigsam sein!
Die Akten häufen sich bei mir,
Ich finde ’s gibt zu viel Papier
Ich tauch die Feder selten ein
Und komm doch in die Tint’ hinein!
Kein Wunder wenn man so viel tut,
Dass man am Abend gerne ruht,
Und sich bei Nacht, was man so nennt,
Erholung nach der Arbeit gönnt!
Da geh ich zu Maxim,
Dort bin ich sehr intim,
Ich duze alle Damen
Ruf' sie beim Kosenamen,
Lolo, Dodo, Joujou
Clocio, Margot, Froufrou,
Sie lassen mich vergessen
Das teu're Vaterland!
Dann wird champagnisiert,
Und häufig pamponiert, (cancaniert)
Und geht's an's Kosen, Küssen
Mit allen diesen Süssen;
Lolo, Dodo, Joujou
Clocio, Margot, Froufrou,
Dann kann ich leicht vergessen

Libretto Victor Léon und Leo Stein