Sonntag, 1. September 2013

Lebenszeichen

Endlich wieder ein Lebenszeichen. 
   Mich hatte eine Bronchitis just zu dem Zeitpunkt erwischt, als Reich-Ranicki ein Gedicht von Britting in seine Reihe (Anthologie) aufgenommen hatte: »Was hat, Achill«. Da liest Thomas Huber das Gedicht. Am 2. 8. 2013 resümiert Wolfgang Schneider: »Ein lyrisches Wunderwerk, das ist auf Anhieb deutlich, und es wird deutlicher, je länger man sich damit beschäftigt. Warum ist dieser Dichter, warum ist Georg Britting vergessen?« 
   Übrigens. Albert von Schirnding machte sich über dieses Gedicht auch so seine Gedanken: »Das Klassisch-Antike durchdringt sich mit süddeutschem Kolorit. … Achill ist eben nicht nur ein antiker Heros, sondern auch ein bayerisches ›Mannsbild‹ – Groß und Klein, Ferne und Nähe sind in ihm zu einer höchst einprägsamen Figur verschmolzen.« Peter Staengle nennt’s inzwischen einfach den »Gipfel jeglicher Dichtung überhaupt«, danke. Und Hermann Kurzke: »Die Liebe ist ein Geschlechterkrieg, wie in dem Gedicht von Achill ...« und macht sich so seine Gedanken über Britting und die Nazis: »Er war kein Nazi, aber er war auch nicht dagegen.« Genug: Gedichte und Dichter sind da, dass man sie liest, nicht deutet (außer in der Schule). Meint fj.
»Blick aus meinem Ipad« – in den ich auch die Mails diktiere.
Da haben sich natürlich die Anfragen gehäuft. Inzwischen sind sie alle beantwortet, die Aufträge ausgeliefert, Lizenzen erteilt usw. Und auch ich genese voran.
   Und schließe wieder einmal (etwas nachdenklich) mit Britting:

Wessen der andre auch ist,
Der ewige,
Göttlich und engelumflügelt,
Droben, der glänzende,
Den das Herz nur zu ahnen vermag –
Abgespiegelt hier unten auch glänzt er, der unsre,
Mit Bäumen und Wind und dem lärmenden Schlag
Des unbehausten, flüchtigen Kuckucks,
Der untre,
Der irdische Tag.


   Links:
»Blogs über: Georg Britting«
Dieser Eintrag hier

Dienstag, 2. April 2013


File:Galgenlieder 025.jpg


Das war eine Nacht heut Nacht.
Weil auch ich ein Fisch,
Hab ich es nachgemacht.
Doch das Format beherrscht nicht mal das Internet.
So sing ich mit nun im Duett.



 – Al-so dichtet der Protagonist, der lit. geb.
 – Dann kommt der HTML-Artiste, sucht’s erst im Netz; bitte ↖ links oben dank http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Galgenlieder_025.jpg.
Und dann probiert er’s doch zu setzen Schrift:


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Na ja, meint er dann selbst, so schee is net … Außerdem ein Ver>>>>>>>>>stoß gegns ©, oder? Das weiß man nie, im Netz, da isma drin – und dran? Hier ist der Autor siebzig Jahre tot, das ist schon mal was.
Link zu diesem Blog: http://brittingblog.blogspot.com/2013/04/das-war-eine-nacht-heut-nacht.html

Sonntag, 17. Februar 2013

Der alte Barsch

Dies ist eine Geschichte, fast ein Drama, aus der christkatholischen Fastenzeit. Es erzählt von einem eiskalten Fisch, der nichts dafür kann, einem hungrig Heizenden und Handelnden, der an allem Schuldt ist, und drumherum das reine, zarte Bangen, oder soll ich bloß sagen: Oberbayern.
   Angefangen hat es mit einem einsamen Mittagessen.

»Loup de mer« (Wolfsbarsch, Dicentrarchus labrax), AD 2011, aus dem Tiefkühlfach – Ipad-Foto Schuldt
Hier sieht man das Tierchen vor dem Verzehr auf dem heimischen Teller. Für schönere Rezepte und professioonellere Bilder verweisen wir ins weitere Netz, etwa auf Maggi. (Im Übrigen nennt der deutsche Gourmet alle möglichen Fische Loup de mer, weil’s grad so schön fischländisch klingt.)   
   Nach dem Mahle reimte dann der Herr:

Liebe Marion!
    Jetzt habe ich einen Engel aufgefressen! – (schreibt er wörtlich.)
    Und das war der von dir, der mit den weißen Locken! – Mitgefressen!
    Und süß!
    Wen und was soll er nun beschützen?
    Du siehst, nichts hält ewig! 
    – bis auf unsere Liebe!
       
Und er unterzeichnet frohgemuth:
   Dein englelverschlingender, alter Hans.
       
Mannhaft erklärt er am Ende sachlich-ungereimt:
    Heut Mittag gab’s einen »Mer de loup« aus dem Jahr 2011. Köstlich!

Antwort von Marion:
    Aber Hans, um Gottes Willen, aus  2011!!!!!!!!!!!!!
    Ich möchte stündlich ein Lebenszeichen von dir, bis morgen früh ....
Hast du den so lange im Eisfach schmoren lassen, das sollst du nicht, nicht länger als drei Monate, aber du bist ein Haudegen, du überlebst ......
(»Schmoren« im Eisfach? Wieder einmal ein leicht verqueres sprachliches Bild. Das kommt von der Erregung. Außerdem gibt’s deutsch noch kein »in 2011« oder »aus 2011«, nur im Englischen ohne was davor, das hatte Schuldt richtiger. Die Redaktion)

Darauf der alte Genießer:

    Befehlsgemäß meld’ ich mich stündlich
    – und das tu ich sehr gründlich – (schon, damit sich’s reimt!)
    Mit einm Engelchen im Bauch
    Und einem alten Fischlein auch.
   
    Bisher bewirkte der »Mer de loup«
    Noch nicht mal einen ... !
    Doch sowas Ungereimtes sagt man nicht,
    Iss lieber du den Fisch stets frisch!
   
    Ach Marion, gefroren hatte der schon so lange,
    Da war ich mir doch garnicht bange! –
    Sollt’ noch einen ich im Eisschrank finden,
    Fürwahr! – könnt ich mich sicherlich nicht überwinden! (wozu?)
   
    So habe du denn keine Angst
    Um deinen Hans.
    Du weißt es doch! Der kann’s.
    Nur fehlt die vierte Zeile leider ganz!
   
Soweit die Ballade vom »Meereswolf« (sag’ i).
Höhergeistiges unter Lupus in fabula.

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Die Aufbewahrungszeit von Tiefkühlfisch in der Truhe wird ganz unterschiedlich eingeschätzt. Einmal sind’s bloß drei Monate (das meint allerdings ein »Feuervogel«), ein anderer schreibt: ewig. Dritte philosophieren von »enzymatischen Prozessen«, und dass es drauf ankommt, und das klingt doch immer am gelehrtesten. Fett möchte ranzig werden, ganz langsam aber sicher, was man aber schmeckt. Wobei beim Bayern Schmecken schon gleich Riechen ist. Also keine Bange! Selbst die Wikipedia beruhigt: »Daher sollte man beim Verzehr von Frittiertem auf natürliche Ekelreaktionen achten, welche noch vor Erreichen gesundheitsschädlicher Anteile von Zersetzungsmaterial im Öl automatisch Alarm schlagen.«

Samstag, 2. Februar 2013

Noch ’n Gedicht

Theke – Antitheke – Syntheke

Philosophen-Karikatur von Robert Gernhardt – s. SWR
Beim ersten Glas sprach Husserl:
»Nach diesem Glas ist Schlusserl.«
   Ihm antwortete Hegel:
   »Zwei Glas sind hier die Regel.«
»Das kann nicht sein«, rief Wittgenstein,
»Bei mir geht noch ein drittes rein.«
   Worauf Herr Kant befand:
   »Ich seh ab vier erst Land.«
»Ach was«, sprach da Marcuse,
»Trink ich nicht fünf, trinkst du se.«
   »Trinkt zu«, sprach Schopenhauer,
   »Sonst wird das sechste sauer.«
»Das nehm ich«, sagte Bloch,
»Das siebte möpselt noch.«
   Am Tisch erscholl Gequietsche,
   still trank das achte Nietzsche.
»Das neunte erst schmeckt lecker!«
»Du hast ja recht, Heidegger«,
   rief nach Glas zehn Adorno:
   »Prost auch! Und nun von vorno!«
                                        soweit Robert Gernhardt (1937—2006)

beim elften Glas, fiel Britting ein.
Wer wissen will, wie’s weiterging, 
der klicke hierauf diesen Link.
Es fehlt hier noch der Heinrich Kleist,
den füg ich ein – mit noch ’nem Link – schon dreist.
   – Sagt’s, schreibt’s und legt es nieder, der nimmermüde Hans-Joachim Schuldt.

Spittelmarkt 1783. Bild s. Wikipedia. 1786—1796 sollte Kleists Anekdote spielen.
PS. Hier steht der Kleist ganz ohne Link:

   Der Branntweinsäufer und die Berliner Glocken  

Ein Soldat vom ehemaligen Regiment Lichnowsky, ein heilloser und unverbesserlicher Säufer, versprach nach unendlichen Schlägen, die er deshalb bekam, dass er seine Aufführung bessern und sich des Brannteweins enthalten wolle. Er hielt auch, in der Tat, Wort, während drei Tage: ward aber am vierten wieder besoffen in einem Rennstein [sic!] gefunden, und, von einem Unteroffizier, in Arrest gebracht. Im Verhör befragte man ihn, warum er, seines Vorsatzes uneingedenk, sich von neuem dem Laster des Trunks ergeben habe? »Herr Hauptmann!« antwortete er; »es ist nicht meine Schuld. Ich ging in Geschäften eines Kaufmanns, mit einer Kiste Färbholz, über den Lustgarten; da läuteten vom Dom herab die Glocken: ›Pommeranzen! Pommeranzen! Pommeranzen!‹ Läut, Teufel, läut, sprach ich, und gedachte meines Vorsatzes und trank nichts. In der Königsstraße, wo ich die Kiste abgeben sollte, steh ich einen Augenblick, um mich auszuruhen, vor dem Rathaus still: da bimmelt es vom Turm herab: ›Kümmel! Kümmel! Kümmel! – Kümmel! Kümmel! Kümmel!‹ Ich sage, zum Turm: bimmle du, daß die Wolken reißen – und gedenke, mein Seel, gedenke meines Vorsatzes, ob ich gleich durstig war, und trinke nichts. Drauf führt mich der Teufel, auf dem Rückweg, über den Spittelmarkt; und da ich eben vor einer Kneipe, wo mehr denn dreißig Gäste beisammen waren, stehe, geht es, vom Spittelturm herab: ›Anisette! Anisette! Anisette!‹ Was kostet das Glas, frag ich? Der Wirt spricht: Sechs Pfennige. Geb er her, sag ich – und was weiter aus mir geworden ist, das weiß ich nicht.«

Freitag, 1. Februar 2013

Vorfrühlingsgruß vom Chiemsee

Chiemsee bei Seebruck. Foto Schuldt mit Ipad
Mag’s der wärmste Januartag seit Men­schen­ge­den­ken gewesen sein, dieser letzte Januar­tag 2013, es war ein schöner Tag. Die Wolken sehen nach Föhn aus, der See nach Sehnsucht …

Und gerade die lässt unseren unermüdlichen Bayern-Berichterstatter mit alten Dichtern seufzen:

»Es ist so traurig, sich allein zu freuen.«                    Minna von Barnhelm II, 3. (Fräulein)
  Gotthold Ephraim Lessing (1729 - 1781)

Was hiermit überwunden scheint, dank Internet! Merke: Im Netz ist keiner allein, zumindest nicht im Web zweinull, so sich jeder so seine »Komm Junitty« zusammenklaubt.


Foto Schuldt mit Ipad
Wes Kirch’ das ist, wird er mir schon noch schreiben, der Meister!

Lasset uns also einkehren:

Schlosswirtschaft Wildenwart, Jägerstube. Foto Schuldt mit Ipad
Foto Schuldt mit Ipad
In diesem Fall in Wildenwart, in die Schlosswirtschaft. »Hier bin ich bekannt und werde mit Namen begrüßt«, schreibt der Protagonist hinter und mit seinem  Ipad. »Die Stube war voll, so fand ich in der Jägerstube einen Platz und warte jetzt geduldig auf den bestellten Schweinsbraten, der hier sehr gut ist. – Das Tegernseer Bier läuft schon wohin es muß!«
   Hernach nur kursorisch: »Ich lasse mich jetzt von meiner bezaubernden Kopilotin nach Hause führen, ich folge ihr einfach, bis sie sagt ›Sie haben ihr Ziel erreicht!‹ (Wir siezen uns noch immer!).
  Na, wenn das keine gute Siesta verspricht, was dann? – fragt der alte Hans, der mit dieser Rose ganz herzlich grüßt.«

Liest das eigentlich wer? Oder ist das eher »für die Katz«? Foto wieder Schuldt mit seinem Ipad.




Montag, 28. Januar 2013

Heut’ ein Hinweis, a lustiga Link,

dazu ein eigener Spruch:
   Einsamkeit ist äußerst produktiv!
   Es ist schwer, sie zu ertragen.
   Doch schwerer zu ertragen ist Zweisamkeit,
   Die sich an sich selbst verzehrt.
                              Hans-Joachim Schuldt


Zum Feierabend von Loriot: http://youtu.be/9qUtWteHPUI.
Der Text hier

Samstag, 26. Januar 2013

Noch ’ne Geschichte –
Wein, Ipad, u. a.

Es war schon spät geworden – eigentlich hätte ich, wie einige Gäste vor mir, das gastliche Haus längst verlassen haben müssen. 
   Es war ein Geschäftsjubiläum, Anlass zu einer Feier, in einem gut situierten, kultivierten Haus erster Adresse. Vornehm bis in die Fingerspitzen: die zum Handkuss entgegen gehaltene Hand der tatsächlich schönen Gastgeberin, die dann womöglich der Grund für mein Verweilen gewesen sein könnte.
   Bei all dieser vornehmenden Zurückhaltung trat darüberhinaus dann ein, was man Gemütlichkeit nennen kann. Dazu hatte ein vorzüglicher Frankenwein beigetragen und ein paar gut vorgetragene Toasts, die Anlass waren, Geschichten von Trinksitten zum Besten zu geben. (Ein Toast, meine Damen und Herren neuzeitliche Leser, ist hier nicht ein teilgesintertes Stück Wonder Bread, sondern eine kurze Ansprache, eine kleine Geschichte, mehr oder weniger passend zum Anlass. fj)
   Ob auch ich mit einer solchen Geschichte aufwarten könne, wurde ich gefragt. Das machte mich verlegen, kam ich doch aus einer ganz anderen gesellschaftlichen Schicht. Dann kam mir die Geschichte von Britting in den Sinn. Ich gab zu bedenken, dass die Sache zu lang sei für so einen kurzweiligen Abend. Diese Ausrede verfing beim Hausherrn nicht – er ließ die Gläser noch einmal füllen, reichte eine Kiste mit echten Havannas herum, und, nachdem er die seine umständlich entzündet hatte, sah er sich fragend um im Kreis und sagte fordernd: »Erzählen Sie, die Nacht ist noch lang!«
   Also begann ich:

Ich habe einen guten Freund, der lebt jetzt nicht mehr in Deutschland, der lebt jetzt in England. Wenn ich mit ihm zusammensaß, und wir tranken Wein, so stürzte er das Glas in einem Zug hinunter. Er machte das nicht nur mit dem ersten Glas so, er machte es mit jedem Glas. Er trank nicht mehr als wir, er wartete, geduldig und höflich genau, bis wir andern, den Wein schluckweis trinkenden, auch unser Glas leer hatten. Dann goss er die Gläser voll, und seins trank er dann wieder leer in einem einzigen habgierigen Zug. Ich fand es etwas grobschlächtig, so zu tun, und fand es auffallend bei einem so artigen Mann, der er ist, und einmal sagte ich ihm: Tu langsam! Er sah mich nur lächelnd an, wie einer, der es besser weiß, und legte seine breite, feste Hand auf meine, und sagte: Lass mich so! Und ich ließ ihn so, ohne nach seinen Gründen zu fragen. Er wird diesen Brauch beibehalten haben im fremden Land. Genug zu trinken zu haben, wünsche ich ihm, die Insel ist neblig.
  Dann begegnete mir diese Verhaltensweise wieder. In Köln war ich mit einem berühmten Dichter zusammen. Der hatte seine Gedichte im Rundfunk gesprochen, und nach der Lesung erwartete ihn ein Gelehrter, von großem Namen auch er, der nur gekommen war, von dem Hochverehrten, den er noch nicht von Angesicht zu Angesicht, nur aus seinen Versen kannte, sich das Glück auszubitten, dass er ein Glas Weins mit ihm trinke. Wir gingen in die Wohnung des sonderbaren Schwärmers. Er hatte aus dem Keller den besten Jahrgang geholt. Feierlich-umständlich entkorkte er die Flasche und füllte die Gläser mit dem flüssigen Gold: das Zimmer duftete davon. Er stieß mit dem Dichter, dann mit mir an, und da geschah es: der Dichter stürzte sein Glas in einem einzigen Zug hinunter. Ich erschrak über das Unangemessene. Der Wein war ein hochedles Gewächs, bei einem einfachen hätte es noch angehen mögen. Der gelehrte Herr erschrak sicher nicht weniger wie ich, ließ sich aber nichts anmerken und schenkte dem Dichter das Glas sofort wieder voll. Und wieder leerte es der in einem tiefen Zug. Unser Wirt war zu vornehm, ein Wort darüber zu verlieren. Ich sagte auch nichts, mir war mein Freund in England eingefallen. Dann redeten wir, dieses und jenes, und der Dichter musste zur Bahn, und wir begleiteten ihn. Unerschüttert aufrecht schritt er dahin.
  Ich trinke, auch wenn ich Schnaps trinke, das Glas nicht in einem Zug leer. Das liegt nicht in meiner Natur. Doch weiß ich, dass es beim Schnaps viele mit dem »Aufeinenzug« halten. Bei einem Verleger, der aus dem Schwarzwald ist, gab es einen Himbeergeist, herrlichen, alten, der roch, wie ein ganzer Himbeerschlag riecht, wenn er in der Sonne glüht. Ich nahm, wie gewohnt, meinen Schluck, der Verleger kippte sein Glas kopfüber hinab. So sei es richtig! sagte er tadelnd, jeder Schwarzwaldbauer mache es so. Das gäbe einen glühenden Stoß bis ins Herz.
  Einmal versuchte ich’s auch mit dem »Aufeinenzug«. Es war eine leere Stunde, traurig war mir zumut, ohne Grund, und da fielen mir die Aufeinenzug-Leute ein. Ich hatte eine Flasche Burgunder stehen, die holte ich hervor. Ich goss mir das Glas voll und leerte es, ohne abzusetzen. Und ein zweites und drittes hinterdrein. Eine Feuerwolke umhüllte mich. Es war eine Wärme, die kein Ofen spenden kann. So himmlisches Feuer gibt nur der Wein. Es war ein plötzliches Glück. Die Traurigkeit war fort, und in rosigen Nebeln dampfte die Welt. Die gedrungene Burgunderflasche gefiel mir, und ich legte die Hand um sie, wie um eine Frauenhüfte. Ich begann zu sprechen, obwohl ich allein war und lauschte meinen Worten, die ein andrer sprach. Ich glaube, ich habe Weises gesprochen und Schönes, obwohl es sich nicht reimte. Zuletzt dann sprach ich in Reimen, und die Reime fielen mir zu, wie die Äpfel vom Baum fallen, in der rechten Stunde.
  Seitdem bin ich wieder zu meiner alten Gewohnheit zurückgekehrt. Ich trinke, wie es sich gehört, den Wein in kleinen Schlucken, seine Würze zu schmecken. Aber vielleicht haben die andern recht, mein alter Freund auf der Insel, und der Dichter, der nun schon tot ist.
  

Spülung. Bild Wikipedia
Mein Vortrag wurde einige Male an jenen Stellen unterbrochen, die zum Nachschenken einluden, dann aber wurde ich mit Fragen bestürmt, nach den Namen der Betroffenen. Ja, in der Tat, so wie der Erzähler selbst, sie sind alle tot, doch ihre Namen sind wohl bekannt!
   Die Damen hatten sich alsbald in den Salon zurückgezogen, zu einem Mokka, die übrig gebliebenen Mannsbilder jedoch wussten noch manche Geschichte zu erzählen – natürlich auch die vom wilden Mann, die ich nur angedeutet hatte, die nun aber in ihrer ganzen Breite zelebriert wurde, wobei bei jedem Glöckchenklingen ein homerisches Lachen ausbrach und die Gläser gefüllt wurden.
   Nun ja, die Geschichten wurden nicht besser, als mich der Hausherr fragte, ob ich – nachdem ich die längste Geschichte erzählt hatte, noch mit einer kürzesten beitragen könne.
   Da der köstliche Wein all zu schnell »heruntergespült« wurde, erinnerte ich mich daran, dass es unter den Theaterrequisiten auch etwas gab, was mit »herunterspülen« zu tun hatte – und angesichts der Tatsache, dass es so einiges herunterzuspülen gab, sagte ich: »Ja, aber es ist wirklich sehr kurz!« – »So lassen Sie es uns hören!«
   Es war ganz still geworden, und aus dem Damensalon war auch kaum noch etwas zu vernehmen, was aber dann zu vernehmen war, das hört wer auf das Bild hier oben klickt.

   Vier entsetzte Damenköpfe schauten aus dem Salon herein, bis endlich ein allgemeines Gelächter ausbrach und die Damen nun zu uns kamen, um auch noch Geschichten solcher Art zu hören. 
Alkoholfreies Bier aus dem Iphone
»Nun gut, ich möchte noch ein Glas«, sagte ich. Der Hausherr hatte schon die Flasche in der Hand, als ich ergänzte: »Nein bitte, es sei ein leeres!« Dann hielt ich meinen Ipad über das Glas und ließ ein Einschenken erklingen.
   Man bat mich um noch eine Geschichte. »Nun gut, es sei für heut’ die letzte denn!« Hier. Und mit mit diesem Ruf kam ich recht »früh« nach Haus –  Ihr alter Hans-Joachim Schuldt.

Freitag, 25. Januar 2013

Goldrand am Glas. Immer etwas kitschig. Foto Jörn
Die Weingläser mit Goldrand
Ein mystische, schon mehr als weinbeseelte Geschichte

Eine Spätlese sei ich, sagte ein Freund, der mich besuchte.
   Es ist einer von jenen, mit denen man vortrefflich – auf höchsten Niveau – streiten – und sich versöhnen – kann, der aber –  wie ich auch – weiß, dass zu guter Letzt immer nur einer Recht haben wird – und dass das nicht immer einer von uns beiden sein muss.
   Um zu solcher Erkenntnis zu kommen, bedarf es oft eines langen Kampfes, bei dem die Gemüter mit Wein gekühlt und zu neuer Kampfeslust erhitzt werden müssen. Das alles vollzieht sich nicht im heißen Gefecht – was nicht ausschließt, dass die Wogen auch mal Schaumkronen tragen. Wie bei Ebbe und Flut fließt das brandende Wasser unter all dem Schaum wieder mäßigend zurück.
   Nun gut, es galt ihm zu widersprechen: »Eine Spätlese, mein lieber Freund, die bin ich nicht, da irrst du, wie kommst du auf so eine Idee?« – »Das ist doch ganz einfach: ›In Vino Veritas‹. Du hast Mme. Veritas spät gefunden, und so bist du eine Spätlese!« – »Aber, mein Lieber, Veritas ist nicht nur in der Spätlese, sondern auch in allen anderen Stadien und Prädikaten«, gab ich zu bedenken, bis er sagte: »Trotzdem: Ein ›Heuriger‹ bist du doch nun wirklich nicht.« Dem stimmte ich zwar zu, aber mit dem Hinweis, dass auch für Heurigen der Veritas-Spruch gilt.
   Wir hatten nun alle Prädikate wie Kabinett, Spätlese, Auslese, Beerenauslese, Trockenbeerenauslese bis zum Eiswein für einen passenderen Begriff für meine Person durchkostet (symbolisch nur) und dabei hatten uns auch angehört, was Britting in seinem »Lob des Weines« zum Thema zu sagen wusste:

Labsal des Alters

Weißer Wein, der unruhig übers Glas drängt,
Perlend wie der Wortschwall der Mädchen, wenn sie
Aug in Auge mit dem Ersehnten ihre
Liebe verbergen,

Honigfarbner, koboldisch glühend, wenn der
Taumel rast bei Hochzeit und Taufe, mondschein-
Gelber, zarter, voll von Empfindung wie der
Vers eines Dichters,

Und der grüne, Hoffnungen weckend, grün wie
Morgenduft des kommenden Freudentages,
Ist der rechte Trunk für die Jugend, für die
Glänzenden Männer.

Doch der rote, Herz und die Glieder wärmend,
Dunkler, aus der Landschaft Burgund, der süßen,
Oder sanfter Wein von Bordeaux gehört den
Späteren Tagen,

Der schon still verzichtenden Weisheit – nicht zu
Sprung und Taten reizt er das alte Blut, er
Gibt ihm, das schon langsamer hinrollt, Kraft und
Schönes Gefälle,

Macht das ungesellige Zimmer rosig,
Bringt die schon gegangenen Freunde wieder:
Glück des grauen Hauptes, das einsam hinlebt,
Labsal des Alters!  

Ein passendes Prädikat für die gesuchte Bezeichnung einer Person war auch hier nicht zu finden, nur zwei passende Zeilen – es sind die beiden letzten. Die aber geben keine Namensbezeichnung.
   Mein Freund hatte das mit einem alten Rotwein gefüllte Glas erhoben, hielt es nachdenklich gegen das Licht und bemerkte plötzlich: »Das Glas hatte ja einmal einen Goldrand.«, dazu sinnierte er poetisch: »Verwehte Spuren glücklicher Zeiten …«. Mir hingegen lief es eiskalt über den Rücken, nie hatten wir Gläser mit Goldrand, immer nur glasklare ungeschliffene, um dem Wein nicht den optischen Reiz zu rauben! So hob denn ich auch mein Glas – und oh Wunder, auch er (der Wein oder das Glas oder gar der Freund, fragt ironisch, doch lieblos nicht, der Redakteur, aber das ist zu dieser fortgeschrittenen Stimmung schon egal! fj) wies Spuren der goldenen Vergangenheit auf! Auf die tranken wir. In goldenem Licht alter Zeiten stiegen sie empor – weintrunkene Erinnerungen.
   Als es mir so eiskalt über den Rücken lief (und das beim Wein! fj), fiel mir ein passendes Prädikat ein: Eiswein! Ja, der passt! Er ist die Endstufe. Es sind die Trauben der Beerenauslese, die so lange am Rebstock bleiben müssen, bis sie bei Dauerfrost von mindestens sieben Grad (unter Null) gefrieren. Es zeichnet sie eine harmonische Balance von reifer Fruchtsüße und animierender frischer Säure aus und »ein wenig Bitteres darf auch dabei sein«!   
   Die Ränder unserer Gläser verfärbten sich an diesem Abend noch mehr, es war ein harmonischer Abend – ich habe ihn jedoch nicht so genossen, wie ich es getan hätte, wären nicht Spuren vom Goldrand zu sehen gewesen, wie jetzt, da er gegangen ist, und ich die Gläser gründlich abgewaschen habe.
   Es bestätigt sich hiermit wieder, was Britting sagte: »Kein Bild ist Betrug«!

Montag, 21. Januar 2013

Als Lebenszeichen ein Traum

Du hast mich vor gar nicht so langer Zeit einmal gefragt, ob ich noch manchmal von meiner Frau träume? Und da wir über Geistiges gesprochen hatten, verstand ich die Frage dahin gehend, ob sie mir noch manchmal im Traum erschiene, als Geist. Hieraus ist zu erkennen, dass die Bedeutung von dem abhängt, was gerade präsent war!

Auch ein Klaglied zu sein in Mund der Geliebten, ist herrlich,
Denn das Gemeine geht klaglos zum Orkus hinab.
                                                                            Aus Schillers Nänie
Das goldene Dachl in Innsbruck
Dir will ich nun erzählen, was und wovon ich geträumt habe:
   Wir saßen in der äußerst gemütlichen Tiroler Stube vom Wirtshaus »zum wilden Mann« in Lans. Das Feuer im Kamin war schon erloschen, nur die Glut flackerte noch manchmal zu kleinen violetten Flammen auf. Es roch nach Holz und ein wenig nach Rauch. Die meisten Gäste waren schon gegangen, wir aber waren noch hungrig aufs Gespräch; so bestellte ich noch einen vom besten Wein, der zu diesem Ambiente passte, einen Brunello vom Steineichenberg. Wir hatten über die Irrungen und Wirrungen der Menschen gesprochen, da fiel wir jener wundervolle Roman von Nikolai Semjonowitsch Leskow ein vom »verzauberten Pilger«
   »Ich habe leider vergessen, was ich dir alles von ihm erzählt habe, aber es war wunderbar! Du musst diesen Roman einmal lesen! Überhaupt die Russen, herrliche Literatur! Nie flach, nie banal, immer bis in die tiefsten Abgründe der Seele tauchend. Kennst du Paustowski? – Wart’, ich hole schnell einen Band!« (Im Traum ist sowas möglich.)
Nach Innsbruck im Traum: links
   Dann kam die reizende junge Bedienung, um nachzuschenken, und du fragtest sie in aller Unschuld, warum denn das Gasthaus »zum wilden Mann« heiße – und ihre Wangen wurden rot wie die Glut im Kamin! Ich beruhigte sie, indem ich sagte: »Schon gut, ich erzähle die Geschichte.« Die aber ist eigentlich nur eine für Manns­bilder, die am Stammtisch sitzen, über dem eine Lampe hängt, die immer, wenn sie zu schwanken anfängt, Anlass zu einer neuen Runde gibt. Es wurde eine berauschende Nacht! –
   Wir waren dann noch unten in Innsbruck, beim goldenen Dachl und standen auf der Brücke über dem Inn, sahen den Mond sich silbern spiegeln im Wasser – und mit seinem Licht, mit seinem Wasser und seinem Geröll verrann auch mein Traum.

Und wer traurig ist diese Nacht, 
Stützt den Kopf in die Hand 
Und sitzt und sinnt, 
Dass Träume nur blieben, was sie eben sind, 
Eben nur Träume, zu mehr nicht gemacht.

...
Und die Sterne in dieser Nacht, 
Und der tröstliche Mond, 
Der seinen ewigen Gang sich nicht nehmen lässt – 
Halt sein Herz der nur fest, 
Der hinauf schaut hoch in die himmlische Pracht,
...
Und feiere das Fest, 
Denn eh ers bedacht, 
Mit Mond und Sternen und Kerzen die Nacht  
   Aus »Nacht der Erinnerung« von Georg Britting

Donnerstag, 10. Januar 2013

Ein bombastischer Blogeintrag
Filippo Tommaso Marinetti
poeta motorizzato

Sintemalen unser Blogberichterstatter heuer noch keine neuen Texte geliefert hat – Urlaub (oder war’s eine Grippe?) sei ihm gegönnt – erlaubt sich die Redaktion, den zahlreichen (:Smiley :–) Lesern dieses Blogs einen fremden Text über einen noch fremderen Dichter darzubieten.
   Ich bin mir gewiss, dass unsere Leser bereits zum Frühstück in der heutigen internationalen Ausgabe der Neuen Zürcher Zeitung den Artikel »Aéroplane Bulgare« von Georgi Gospodinow goutiert haben (2 Smileys ::), und gestatte mir hier das Bild aus besagtem Artikel zu zitieren. Sollten Sie das Blatt schon anderweitig entsorgt haben, finden Sie den ganzen schönen Artikel online hier.  
Der bulgarische Bomber Blériot XI vor dem Start zur Bombardierung von Adrianopel, 1913. Foto a.a.O.
Zang tum tumb
o
il bombardamento di Adrianopoli
ogni 5 secondi cannoni da assedio sventrare
spazio con un accordo tam-tuuumb
ammutinamento di 500 echi per azzannarlo
sminuzzarlo sparpagliarlo all’infinito
nel centro di quei tam-tuuumb
spiaccicati (ampiezza 50 chilometri quadrati)
balzare scoppi tagli pugni batterie tiro
rapido Violenza ferocia regolarità questo
basso grave scandere gli strani folli agita-
tissimi acuti della battaglia Furia affanno
orecchie               occhi
narici                      aperti attenti
forza che gioia vedere udire fiutare tutto
tutto taratatatata delle mitragliatrici strillare
a perdifiato sotto morsi schiaffffi traak-
traak frustate pic-pic-pum-tumb bizz-
bizzarrie salti altezza 200 m. della fucileria
Giù giù in fondo all’orchestra stagni
diguazzare     buoi buffali
pungoli carri pluff plaff          inpen-
narsi di cavalli flic flac zing zing sciaaack
ilari nitriti iiiiiii… scalpiccii tintinnnii 3
battaglioni bulgari in marcia croooc-craaac
(LENTO DUE TEMPI) Sciumi Maritza
o Karvavena croooc craaac grida degli
ufficiali sbataccccchiare come piatti d’otttttone
pan di qua paack di là cing buuum
cing ciak (PRESTO) ciaciaciaciaciaak
su giù là là intorno in alto attenzione
sulla testa ciaack bello               Vampe
vampe vampe                                                       vampe
                  vampe                                                       vampe
                            vampe       ribalta dei forti die-
vampe vampe
tro quel fumo Sciukri Pascià comunica te-
lefonicamente con 27 forti in turco in te-
desco allò Ibrahim Rudolf allò allò
attori ruoli           echi suggeritori
scenari di fumo foresta
applausi odore di fieno fango sterco non
sento più i miei piedi gelati odore di sal-
nitro odore di marcio  Timmmpani
flauti clarini dovunque basso alto uccelli
cinguettare beatitudine ombrie cip-cip-cip brezza
verde mandre don-dan-don-din-bèèè tam-tumb-
tumb tumb-tumb-tumb-tumb -tumb Orchestra                          pazzi ba-
stonare professori d’orchestra questi bastona-
tissimi suooooonare suoooooonare Graaaaandi
fragori non cancellare precisare ritttttagliandoli
rumori più piccoli minutissssssimi rottami
di echi nel teatro ampiezza 300 chilome-
tri quadrati                      Fiumi Maritza
Tungia sdraiati               Monti-Rò-
dopi ritti                           alture palchi log-
gione 2000 shrapnles sbracciarsi esplodere
fazzoletti bianchissimi pieni d’oro Tumb-
tumb                      2000 granate pro-
tese strappare con schianti capigliature
tenebre zang-tumb-zang-tuuum
tuuumb orchestra dei rumori di guerra
gonfiati sotto una nota di silenzio
tenuta nell’alto cielo               pal-
lone sferico dorato sorvegliare tiri parco
aerostatico Kadi-Keuy


Soweit das Gedicht. Am besten man lässt es sich vom Autor selbst vorlesen, hier bittesehr. Marinetti liest nicht ganz wörtlich, die dreihundert Quadratmeter werden zu fünfhundert, aber was macht das schon: Er ist der Autor, er darf.
   Ein PS noch für unsere bayrischen Leser: »vampe« bedeutet da was anderes. Was, woaß ma net, ist wohl onomatopoetisch.

Marinetti auf seinem Isotta Fraschini, fast 100 PS
Mehr dazu und zu hundert Jahren Futurismus hier.

Montag, 7. Januar 2013

Ländliche Idylle (Diorama im Deutschen Museum). Foto Jörn
 Ein Gruß vom alten Jahr zum neuen
– leider etwas spät wegen säumiger Redaktion …

Alle, die Ihr mich umgabt im alten Jahr – oder mir auch nur kurz begegnet sein möget,
das Jahr 2012 reiht sich ein in den Strom vergangener Jahre.
   Beim Übergang vom alten zum neuen Jahr werden viele Menschen das Neue mit Böllerschüssen, Wein und Tanz begrüßen, als würde es das lang ersehnte werden, das alle Wünsche erfüllt – das Alte wird darunter begraben, obwohl es noch alle Finger ausstreckt, um uns einen Moment nur festzuhalten, um uns zu sagen, wer von uns gegangen ist, um uns zu ermahnen, nicht länger die Augen zu verschließen und uns einfach dem Strom der Zeit hinzugeben, um uns aber auch an glückliche Stunden zu erinnern, die es uns schenkte. »C’est la vie«, sagt man, vermeintlich Unabänderliches hinnehmend, oder gar um mit »nach uns die Sintflut« vergnügt zur Guillotine zu schreiten, wie es zu Zeiten der französischen Revolution geschah. Das bisschen Leben ein Dreck!
   Hoppla – ein Kopf!
   Wie viele Jahre stand ich um Mitternacht mit meiner Frau auf unserem oberen Balkon, der den Blick frei gibt über das weit gespannte Inntal mit dem Wendelstein als westlichen Abschluss und der Stadt Rosenheim mit seinen tausend Lichtern im Kontrast zur dunklen Kette der Chiemgauer Alpen. Wie oft mag jeder von uns beiden sich gefragt haben – je älter wir wurden – »ist es ein letztes Mal?« – 2011 war es das. Da stand ich dort alleine – Gäste hatte ich nicht – und hielt es auch nicht lange aus.
   2012 ist das erste volle Kalenderjahr ohne sie. Ohne die ich mir mein Leben nicht vorstellen konnte und wollte! Selbst schon 92 durchlebte Jahre auf den gebeugten Schultern, mit wieviel Vergangenheit beladen, was einmal schillernde Zukunft war und all zu oft doch nur Enttäuschung war über das, was in der Welt geschah.
   In nur wenigen Tagen werde ich wieder alleine dort oben stehen. Der alte vertraute Mond und die tröstlichen Sterne werden noch bei mir sein. Die Mitbewohner des Hauses, zwei Generationen jünger und Kinder im Garten, den ich einst pflegte; man wird »Prosit Neujahr« zu dem Alten da oben hinauf rufen, meinen stummen Gruß wird man nicht hören. Meine Bäume, die ich einst pflanzte, werden meine Gefährten sein, mein Nussbaum, der sich nun schon weit über den Giebel des Hauses erhebt und beim silbernen Mondlicht schwarze Schatten in den Schnee zeichnet, meine Zaubernuss, die mit ihren nicht abgeworfenen Blättern die Blütenansätze schützt, um schon in zwei Monaten die ersten Blüten des neuen Jahres zeigen wird, mein Tulpenbaum, dem die Spitze abgesägt wurde, für Hackschnitzel, wird mich fragend ansehen. Der Igel unter dem Schuppen wird sich vom Lärm der Menschen in seinem Winterschlaf nicht stören lassen. Und ganz weit im Westen – noch weit hintern Irschenberg – da leuchtet München, einst Glanzpunkt im Leben einer jungen Schauspielerin, einst auch Wohnsitz von mir, der ich sie geheiratet hatte, nachdem sie ihren ersten Mann verlor.
   Dort gibt es einen Friedhof mit dem Grab von Georg Britting – ihrem ersten Mann –, dort liegt nun ihre Asche, dort habe ich sie begraben, sie, mit der ich nun schon so lange nicht mehr zusammen lebe.
  An sie (nicht an ihre Asche und das Grab) werde ich denken und ihr bei einem mir von meiner Freundin Marion geschenkten Rotwein aus der Toskana, »Leonardo« geheißen, in Lettern, wie schon so oft, Erstaunliches erzählen, von einem Jahr, das alles andere als traurig war.
   Zu dem Erstaunlichen, das alles zu erzählen ich wohl nicht kommen werde, weil die Geschichte zu lang wäre, zu viele Kapitel hätte, mit hunderten Facetten, mit zu vielen Lettern, hinter deren jeder sich all zu viel verbirgt, Storys – und vor allem Menschen, die mich umgaben und sei es nur mit der heute gemachten Frage, als ich nach vierzehntägiger Erkrankung wieder zum Mittagessen in meiner Post war – und nicht nur von einer der mich alle kennenden Bedienerinnen – »Wir haben sie vermisst« und dergleichen mehr, gesagt bekam.
   Ja, selbst die gebratene Ente, die mir zum zweiten Feiertag am Abend serviert werden sollte – und eine »Ente« blieb – wurde mir heut serviert, knusprig braun – als Abendessen für 5,25 Euro –  von meinem Barockengel Petra, dem fülligen, goldgelockten – mit einem Lächeln!
   Nehm’ – wer sich vermisst fühlt – sie als Symbol.
   Ich sage Euch allen – ja, wirklich allen! – meinen tiefen Dank, einen Dank, der mich sehr glücklich – und mehr noch! – macht!
   Euer Hans-Joachim Schuldt, Euer Hans, Euer Bruder Hans
oder was ich jedem noch sonst sein könnte, bleibe ich Euer Euch am Ende des Jahres mit Dank und den besten Wünschen Gedenkender!